Interview mit Netflix-Chef Hastings: „Am Ende entscheidet das Bauchgefühl“

Mit eigenen Serien und Talkshows will Netflix auch den deutschen Markt für Streaming Video erobern. Das Sportgeschäft sei allerdings zu teuer, sagt CEO Reed Hastings im Interview, der seine vielgerühmte Datenanalyse kleinredet. „Am Ende entscheidet das Bauchgefühl“.

Netflix ist die erfolgreichste Internet-Aktie des Jahres 2015. Im Interview erklärt Netflix-Chef Reed Hastings seine weiteren Expansionpläne, den Einfluss der Datenanalyse auf die Filmauswahl und was er von Virtual Reality hält.

 

Herr Hastings, vor gut einem Jahr startete Netflix in Deutschland. Was wissen Sie jetzt über das deutsche Publikum? Sind wir tatsächlich versessen auf Krimis?

Krimis und Zombies kommen überall auf der Welt gut an. Vorlieben sind natürlich immer individuell. Kumuliert auf Millionen Menschen gibt es so gut wie keinen Unterschied zwischen dem japanischen und deutschen Publikum.

Auf dem Streaming-Markt ist hierzulande Amazon Prime führend. Können Sie es besser?

Ehrlich gesagt sind wir beide recht klein. Die meisten Zuschauer haben noch immer ARD, ZDF, RTL. Und dann gibt es eben auch noch Netflix, Youtube, Amazon. Alle konkurrieren am Abend um die Zeit der Menschen, die sich entscheiden, ob sie einen Film schauen oder doch lieber ein Buch lesen, auf Facebook unterwegs sind oder ausgehen. Ob Amazon gut ankommt ist uns egal. Sie haben gute Filme. In den USA haben wir jetzt 45 Millionen Abonnenten und HBO verzeichnet keine Rückgänge.

Netflix hat zum ersten Mal eine ARD-Serie noch vor der Ausstrahlung gekauft, „Die Stadt und die Macht“. Sie war mit 2,6 Millionen Zuschauern im Fernsehen ein Flop. Heißt das, dass sie auch für Netflix ein Reinfall wird?

Überhaupt nicht. Wir senden ja eben nicht für jeden, sondern für Gruppen mit ganz unterschiedlichen Vorlieben. Eine Serie, die eine Million mal angesehen wird, kann bei uns ein Erfolg sein. Hängt ganz einfach davon ab, wie teuer sie war. „Breaking Bad“ ist bei der BBC in Großbritannien nach zwei Staffeln aus dem Programm genommen worden. Es war ein Flop.

Bei „Die Stadt und die Macht“ geht es um politische Skandale in Berlin. Ist das Programm für die ganze Welt?

Die Serie ist bei in Deutschland zu sehen. Zukünftig wollen wir weltweite Rechte kaufen. Schon möglich, dass eine solche Serie in den USA nur wenige interessiert – die aber wollen wir bedienen.

Über VPN sehen viele deutsche Netflix-Kunden auch amerikanische Serien. Das blockieren Sie jetzt. Warum?

Die Studios haben jetzt lediglich neue Techniken entwickelt. Die müssen wir nun einführen.

Kürzlich haben Sie ihre weltweite Ausdehnung bekannt gegeben. Was kommt als nächstes?

Wir haben fast keine Abonnenten in Russland, in Kambodscha und in der Türkei. Erst einmal wollen überall so populär werden wie in den USA.

Netflix hat seit „House of Cards“ das Image, ein Gespür für tolle Serien zu haben. Bei den Golden Globes gingen Sie dieses Jahr leer aus, die neue Produktion „Ridiculous 6“ fällt bei den Kritikern durch. Ist das schlecht fürs Geschäft?

Zwei unserer Filme sind für den diesjährigen Oscar nominiert. Ganz schlecht sind wir also nicht. Den Adam Sandler Film mögen die Kritiker nicht, das ist wahr. Er ist verrückt, schräg – und total entspannend. Unser Publikum mag „Ridiculous 6“. So ist das eben. Hier sagen ja auch alle, sie schauen Arte und doch ist die Einschaltquote gering. Es gibt unser ideales und unser reales Ich. Netflix biete Filme für beide. Adam Sandler ist wohl eher was für das reale Ich.

Welche Rolle spielen bei Programmentscheidungen basiert die berühmten Netflix-Algorithmen, wie viel auf Bauchgefühl?

Auf Grundlage der Daten analysieren wir sehr genau das Buch, die Figuren, die Besetzung. Am Schluss entscheidet aber das Bauchgefühl.

Nimmt die Aussagekraft der Daten aufgrund immer schlauerer Software zu?

Schön wär‘ s. Von unserer Doku-Serie „Making a murderer“ haben die Daten gesagt: Lasst die Finger davon. Warum? Es gab nichts Vergleichbares. Eine zehnstündige Doku-Serie aus Originalfilmmaterial vom Prozess und den Polizeiverhören zum Fall Steven Avery. Die Serie ist für uns ein unglaublicher Erfolg, denn jeder spricht darüber.

Sport, große Events und Talkshows laufen gut im traditionellen Fernsehen. Werden Sie sich auch auf diesen Gebieten tummeln?

Talkshows ja. Wird starten eine wöchentliche Sendung mit der Comedian Chelsea Handler. Sport ist viel zu teuer, das sollen andere machen. Wir konzentrieren uns auf Entertainment.

Ist diese Talkshow dann weltweit zu sehen?

Klar. Die Themen sind entsprechend ausgewählt. In den ersten Sendungen geht es um Ehe, Rassismus, Drogen und das Silicon Valley. Die Show wird untertitelt.

Wie lange wird es das traditionelle Fernsehen noch geben?

Für mich ist es wie mit einem Festnetzanschluss beim Telefon. Viele Leute besitzen ihn noch, nutzen ihn aber nicht mehr. Genauso wird es in 20 Jahren auch in Deutschland mit dem linearen Fernsehen sein. Die traditionellen Sender gehen online – und alle wundern sich, dass es mal eine Zeit gab, in der man um 20 Uhr den Fernseher eingeschaltet hat, um Nachrichten zu sehen. Der BBC iplayer ist ein gutes Beispiel. Inzwischen nutzen in Großbritannien mehr Zuschauer diese App als den linearen Sender.

Wird man schon bald Netflix durch eine Virtual Reality Brille anschauen?

Daran glaube ich nicht. Als das Fernsehen erfunden wurde haben sie Theaterstücke gefilmt und Radioshows, weil es keine Inhalte gab für das neue Medium. Wenn man die Möglichkeiten einer interaktiven, dreidimensionalen Realität hat, wer guckt sich damit Filme an? Für uns ist das ein neuer Wettbewerber um die Zeit der Menschen am Abend.

Das Gespräch habe ich gemeinsam mit Susann Remke und Susanne Wittlich geführt.

Titelfoto: Wolf Heider-Sawall

Reed Hastings Holger Schmidt