Die wichtigsten Nachrichtenmedien: Internet überholt Zeitung, TV führt weiter

Das Internet hat die Zeitung als wichtigstes Nachrichtenmedium überholt, kommt aber an das Fernsehen noch lange nicht heran. Auch die Meinungsbildung findet in immer größeren Maße im Netz statt.

Wenn Menschen nach ihren wichtigsten Nachrichtenquellen gefragt werden, nannten 2004 noch 59 Prozent der Gesamtbevölkerung die gedruckte Zeitung. Jetzt sind es nur noch 39 Prozent, zeigen Daten der Allensbacher Computer- und Technikanalyse. Besonders bedrohlich: Der Bedeutungsverlust der Zeitung als eine der wichtigen Nachrichtenquellen (Mehrfachnennung war möglich) hat sich in allen betrachteten Altersgruppen seit 2010 spürbar beschleunigt – während sich die Änderungen für alle anderen Medien verlangsamt haben. Die gedruckte Zeitung, die für die Verlage immer noch die mit Abstand wichtigste Erlösquelle ist, scheint vor allem in der Jugend schon bald irrelevant zu zu sein. Weitere Ergebnisse:

  • Zu ihren wichtigsten Nachrichtenmedium zählt die Mehrheit der Deutschen zwischen 14 und 64 Jahren weiterhin das Fernsehen. Der Anteil ist zwischen 2004 und 2015 allerdings von 81 auf 70 Prozent gefallen. In der Jugend und bei den jungen Akademikern hat das Fernsehen seine Pole-Position unter den Nachrichtenmedien schon an das Internet verloren.
  • Das Internet, wozu alle digitalen Angebote und damit auch die Web-Ableger der klassischen Medien gezählt werden, gewinnt in allen Gruppen weiter schnell an Bedeutung und hat in der Gesamtbevölkerung nun die Zeitung überholt.
  • Das Radio hat sich stabilisiert. Leichte Verluste bei den Jüngeren stehen Zuwächse bei den Älteren gegenüber, so dass die Gesamtbedeutung seit 2010 sogar leicht zugelegt hat.

Das sind die wichtigsten Ergebnisse im zweiten Teil meiner Mini-Serie zum Wandel des Informationsverhaltens in den vergangenen zehn Jahren. Während im ersten Teil „Der Medienwandel eines Jahrzehnts in sechs Charts“ die Nutzung der Informationsquellen zum aktuellen Geschehen analysiert wurde, spielen bei der Bewertung der „Wichtigkeit“ auch Aspekte wie Vertrauen und Glaubwürdigkeit eine wichtige Rolle. Das gilt vor allem für die Frage, in welchen Medien heute die Meinungsbildung stattfindet, die sich ebenfalls immer stärker ins Netz verlagert.

Hier nun zunächst die Angaben, welche Medien zu den „wichtigsten“ Informationsquellen zum aktuellen Geschehen gehören. Datenquelle ist wieder eine Sonderauswertung der Allensbacher Computer- und Technikanalyse ACTA 2015, die das Institut freundlicherweise für mich erstellt hat. Unterschieden wurden Fernsehen, Zeitung, Internet und Radio; Online-Journalismus der klassischen Medien wird zur Kategorie Internet gezählt. Ein Wechsel von der Zeitung ins Internet kann also auch bedeuten, der Marke treu zu bleiben, die Inhalte aber nun im Netz zu lesen. Der Wechsel von Print zu Online hat zwar keine Auswirkung auf die Reichweite, wohl aber auf den Umsatz, der im Netz weiterhin deutlich unter dem Printniveau liegt.

Die Entwicklung der wichtigsten Nachrichtenmedien

Das Fernsehen verliert auf hohem Niveau stetig an Bedeutung, allerdings seit 2010 etwas langsamer als in der ersten Dekade. Die Situation ist also wesentlich komfortabler als in den Zeitungsverlagen, deren Einstufung als wichtige Nachrichtenquelle seit 2010 schneller sinkt als zwischen 2004 bis 2009. Das ist in allen betrachteten Gruppen (14-16 Jahre, 14-19 Jahre, 20-39 Jahre, 30-39 Jahre alte Akademiker und 50-64 Jahre) der Fall. Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate (CAGR) liegt in der Gesamtbevölkerung zwischen 14 und 64 Jahren inzwischen bei -3,2 Prozent im Jahr und hat sich ab 2013 noch einmal beschleunigt.

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Die 14-19-Jährigen sehen inzwischen das Internet als ihre wichtigste Nachrichtenquelle an. Interessant ist der Bedeutungsverlust der gedruckten Zeitung: Seit 2010 sinkt der Anteil um durchschnittlich 8,6 Prozent im Jahr und beträgt nur noch 12,6 Prozent. Seit 2013 hat sich der Abwärtstrend sogar noch einmal verschärft. Die Zeitungen haben die Jugend offenbar komplett verloren.Die wichtigsten Nachrichtenmedien

In der wichtigen Gruppe der jungen Akademiker zwischen 20 und 39 Jahren ist das Internet schon seit 2011 das wichtigste Nachrichtenmedium und baut seinen Vorsprung vor dem Fernsehen aus. Charakteristisch ist auch hier der rasante und sich beschleunigende Bedeutungsverlust der gedruckten Zeitung. Auch das Radio wird in dieser Gruppe als weniger wichtig eingestuft.

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In der Gruppe der Menschen zwischen 20 und 39 Jahren liegt das Fernsehen noch vor dem Internet, aber der Unterschied wird von Jahr zu Jahr geringer.

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Bei den älteren Menschen zwischen 50 und 64 Jahren liegen Fernsehen und Zeitung weiterhin klar in Führung als wichtigste Nachrichtenmedien. Sie verlieren zwar auch, aber deutlich langsamer als im Rest der Bevölkerung. Die Menschen dieser Gruppe verschaffen den klassischen Medien also noch ein paar Jahre Schonfrist für ihre digitale Transformation.Folie5

Bedeutung für die Meinungsbildung

Aus beiden Ergebnissen beider Teile der Serie, also in welchen Medien sich die Menschen am Vortag über das aktuelle Geschehen informiert haben und welche Medien sie als „wichtig“ erachten, lässt sich auch die potenzielle Bedeutung für die Meinungsbildung errechnen. Werden die Ergebnisse für das tatsächlich genutzte Informationsmedium und das als wichtig erachtete Medium jeweils gleich 100 gesetzt und damit in Marktanteile umgewandelt, lässt sich daraus ein Mittelwert bilden, der das potenzielle Gewicht für die Meinungsbildung abgibt. (Diese Werte geben allerdings keinen Aufschluss, welche Medienmarke zur Meinungsbildung beiträgt.) Hier die wichtigsten Ergebnisse eines Vergleichs zwischen 2005 und 2015 in Kurzform:

  • Nach dieser Formel hat das Fernsehen weiterhin die klar größte Bedeutung für die Meinungsbildung in der Gesamtbevölkerung, auch wenn seit 2005 ein Rückgang um 4,5 Prozentpunkte zu verzeichnen ist. An zweiter Stelle liegt noch die Zeitung mit 21,4 Prozent, ganz knapp vor dem Internet mit 21,3 Prozent. Das Radio liegt relativ stabil bei 20 Prozent, ist allerdings inzwischen auf Rang 4 abgerutscht.
  • Für die 14-19-Jährigen liegen Fernsehen und Internet inzwischen mit 37 Prozent gleichauf; nur noch 9 Prozent dieser Altersgruppe bilden sich ihre Meinung mit Hilfe einer gedruckten Zeitung.
  • Für die 20 bis 39 Jahre alten Akademiker ist das Internet inzwischen ebenfalls die maßgebliche Quelle für ihre Meinungsbildung; die gedruckte Zeitung hat in dieser Gruppe den höchsten Verlust als Meinungsmedium zu verzeichnen.

Folie1 Folie2 Folie3Welche Online-Medien gelesen werden, hat TNS Infratest erfragt. Danach liegen die Web-Ableger klassischer Medien in der Gesamtbevölkerung weiterhin in Führung, während sich die 14-29-Jährigen vor allem auf den Plattformen Facebook und Youtube informieren. Auch dort greifen sie natürlich gerne auf die Inhalte der klassischen Medien zurück, zumal alternative Nachrichtenquellen wie Blogs in Deutschland keine besonders hohe Bedeutung erreicht haben und nur einzelne Segmente bedienen.

Auf jeden Fall lassen sich aus den Zahlen aber einige Schlussfolgerungen und Prognosen für 2016 ziehen:

  • Der Trend, Inhalte auf den populären Plattformen auszuspielen, wird 2016 weiter an Fahrt gewinnen. Facebooks Instant Articles werden nach einer Testphase in diesem Jahr wohl 2016 massiv an Bedeutung gewinnen. Wenn Facebook schlau genug ist, den Publishern einen vernünftigen Revenue-Anteil zu geben, werden diese die Zuckerberg-Netzwerke weiterhin fleißig mit Inhalten füttern.
  • Daher verlieren die eigene Homepage und auch die eigene App der Medien weiter an Bedeutung. Medien, die auf Plattformen zu Hause sind, gewinnen an Bedeutung. Das bedeutet leider auch: Noch mehr Katzen, Hunde und die aktuell modernste Form des Social-Click-Baits, gezielt das politisch rechte Spektrum mit scheinbaren Aufregerthemen zu füttern.
  • Auch der Trend zu Mobile befördert den Bedeutungsverlust der eigenen Angebote. Wer es nicht schafft, seine App auf dem Homescreen zu platzieren und damit in keinem der relevanten Streams auf dem Smartphone präsent ist, verliert an Aufmerksamkeit.
  • Sobald Facebook die Publisher von Videos vernünftig an den Einnahmen beteiligt, wird Video auf Facebook boomen und Youtube ernsthaft gefährden. Videos auf Facebook könnte dann das ganz große Ding auch für Publisher werden.
  • Offen bleibt die Frage, wann die Gegenreaktion der Qualitätsanbieter an Fahrt gewinnt. Wer etabliert ein hochwertiges digitales Pay-Angebot, das für seine Leser die wichtigsten Themen herausfiltert und einordnet und ihn mit der nervigen Werbung verschont. Anders formuliert: Wann haben genügend Leser genug von Fast-Food und schwenken wieder zurück auf hochwertigen Journalismus? Die Leser sollten sich damit beeilen, bevor noch mehr Qualitätsanbieter aufgeben müssen und gute Journalisten das Weite suchen.

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