Der Medienwandel eines Jahrzehnts in sechs Charts

Das Informationsverhalten wandelt sich rasant: Zeitungen verlieren bei jungen Menschen weiter schnell an Bedeutung und auch das Fernsehen kommt unter Druck. Die großen Gewinner des Medienwandels heißen Facebook und Google.

Die Tageszeitungen sind die großen Verlierer des Medienwandels in den vergangenen zehn Jahren. Der Anteil der Menschen in Deutschland, die sich in einer Zeitung über das aktuelle Geschehen informieren, ist seit 2005 von 51 auf auf nur noch 36 Prozent gefallen. Parallel haben die Zeitungen mehr als eine Milliarde Euro Umsatz verloren, weil die Werbung den Lesern ins Internet gefolgt ist. Fernsehen und Radio haben als Informationsmedien erheblich weniger verloren, aber die Abwanderung vor allem der jungen Menschen Richtung Internet hat sich seit 2010 beschleunigt, zeigen Zahlen, die das Institut für Demoskopie Allensbach jedes Jahr freundlicherweise für mich berechnet. Sie basieren auf der Computer- und Technikanalyse (ACTA). Dafür wurden 7000 Menschen persönlich befragt, ob sie sich am Vortag in der Zeitung, im Internet, im Fernsehen oder im Radio über das aktuelle Geschehen informiert haben.

Wie immer muss bei diesen Zahlen erwähnt werden, dass der Wechsel zum Beispiel von der Zeitung ins Internet nicht unbedingt auch den Wechsel des Anbieters bedeutet, wenn der Nutzer dann auf die digitalen Angebote des Verlags zugreift. Daher haben Verlage heute mehr Leser als jemals zuvor (und auch ihre Funktion als Leitmedien weitgehend erhalten), aber oft fallende Umsätze, weil im Netz deutlich weniger Umsatz je Leser erzielt wird. Diesen Prozess werden wohl nur die Großen auf Dauer durchstehen. Dass sich auf Smartphones, wohin sich der Nachrichtenkonsum verschiebt, die Zahl der genutzten Nachrichtenquellen bei den meisten Menschen auf eine oder zwei reduziert, ist ein weiterer Grund für die zunehmende Konzentration auf die Marktführer – mit allen Konsequenzen für die Meinungsvielfalt.

1. Medienwandel: Information im Internet (+11% im Jahr)

In den vergangenen zehn Jahren ist der Anteil der Menschen, die sich im Internet über das aktuelle Geschehen informieren, im Durchschnitt um 11,2 Prozent pro Jahr gestiegen. Besonders hoch ist der Anteil der jungen Akademiker, aber das größte Wachstum zeigten im vergangenen Jahr die Altersgruppen zwischen 14 und 19 Jahren und zwischen 50 und 59 Jahren. (Wo sich die Nutzer im Internet informieren und wie sich die Quellen gerade verschieben, wird weiter unten genauer erläutert).

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Medienwandel: Information in der Zeitung (-3% im Jahr)

In den vergangenen zehn Jahren ist der Anteil der Menschen, die sich in der Zeitung über das aktuelle Geschehen informieren, im Durchschnitt um 3,4 Prozent pro Jahr gefallen. Das ist ein Verlust um 16 Prozentpunkte auf nur noch 36 Prozent. Wenig überraschend kehren die jungen Akademiker der Zeitung besonders schnell den Rücken zu. In der Altersgruppe zwischen 14 und 19 Jahren lesen nur noch 9,1 Prozent überhaupt Zeitungen. Wenn man davon ausgehen kann, dass Menschen das gelernte Verhaltensmuster später nicht mehr ändern, überaltert die Zeitungsleserschaft gerade in einem atemberaubenden Tempo. Setzt sich der Trend der vergangenen zehn Jahre bei den jungen Akademikern fort, liest 2022 keiner aus dieser Gruppe noch Zeitung.

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Beispielhaft sei hier die Auflagenentwicklung (Abonnenment und Einzelverkauf) der F.A.Z. für diesen Zeitraum gezeigt, die einen deutlich beschleunigten Rückgang der Print-Abonnements ab dem Jahr 2010 zeigt. Allerdings gewinnt die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Vergleich zu anderen Qualitätszeitungen viele Abonnenten für das e-Paper, was den Verlust etwas abfedert. Trotzdem hat die Zeitung zwischen 2005 und 2015 insgesamt 27 Prozent ihrer „hart verkauften“ Auflage verloren. Von 315.000 voll bezahlten Zeitungen sind noch 231.500 Exemplare übrig geblieben, obwohl die Qualität auf hohem Niveau geblieben ist.

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Künftig werden also auch die Print-Vertriebserlöse, die das Geschäft der Verlage im Moment stabilisieren, unter Druck kommen.  Denn dass der Leserschwund, der sich in teilweise zweistelligen Auflagenverlusten pro Jahr zeigt, nicht noch deutlichere Spuren in den Bilanzen hinterlässt, ist ausschließlich auf den Preisanstieg für gedruckte Produkte zurückzuführen. Die Vertriebserlöse Print sind in dem Zeitraum sogar von 4,2 auf 4,5 Milliarden Euro gestiegen. Die Leser haben die kräftigen Preisaufschläge bisher akzeptiert; die Zeitung ist damit weiter auf dem Weg zu einem Premiumprodukt für eine stetig kleiner werdende Gruppe. Der Verlust an Print-Werbeerlösen konnte aber weder durch Online-Werbung noch durch digitale Vertriebserlöse ausgeglichen werden, so dass der Gesamtumsatz der Zeitungsbranche insgesamt von 9 auf erstmals weniger als 8 Milliarden Euro in diesem Jahr fallen wird, schätzt PWC in seinem German Entertainment and Media Outlook.

Da das werbefinanzierte Reichweitenmodell als alleinige Form der Refinanzierung für Qualitätsmedien, die ihr Niveau halten wollen, im Netz immer weniger funktioniert, reanimieren die Verlage nun parallel die Pay-Content-Schiene. Bei der New York Times hat das Hybrid-Modell funktioniert; ob die deutschen Verlage es schaffen, ist im Moment noch schwer absehbar. Eine Folge ist aber schon absehbar: Gute Inhalte verschwinden mehr und mehr hinter der Zahlschranke, klickträchtiger Trash bleibt davor. Die Menschen sind schlechter informiert; ob die Verlage dadurch besser finanziert sind, ist dagegen keineswegs sicher.
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Medienwandel: Information im Fernsehen (- 1% im Jahr)

In den vergangenen zehn Jahren ist der Anteil der Menschen, die sich im Fernsehen über das aktuelle Geschehen informieren, im Durchschnitt um 1,1 Prozent pro Jahr gefallen und beträgt noch 61 Prozent. Der Medienwandel ist bei jungen Menschen aber auch hier stärker zu sehen als bei den Älteren, die dem Fernsehen auch als Informationsmedium treu bleiben.

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Medienwandel: Information im Radio (- 0,3% im Jahr)

In den vergangenen zehn Jahren ist der Anteil der Menschen, die sich im Radio über das aktuelle Geschehen informieren, im Durchschnitt um 0,3 Prozent pro Jahr gefallen und beträgt noch 35 Prozent. Auch hier gilt: Die älteren Menschen bleiben den klassischen Medien eher treu; die Jugend wandert ab.

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Hier ist die Bilder-Geschichte eigentlich zu Ende. Wer es genauer wissen möchte, für den kommen hier ergänzend noch einige Charts. Zunächst das Verhältnis der Online-Werbeerlöse der Zeitungen und Zeitschriften im Vergleich zu dem Umsatz, den Google in Deutschland erzielt. 
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Medienwandel: Facebook und Google sind wichtige Gateways

Schaut man nur auf die Online-Nachrichtenquellen in Deutschland, liegen die Angebote der Zeitungen, der Portale (also T-Online, Web.de… ) und der Zeitschriften/Magazine in der Gesamtbevölkerung noch vor Facebook und Youtube. Blogs und Twitter spielt hierzulande keine große Rolle als allgemeines Nachrichtenmedium – was nicht heißt, dass sie in Nischen durchaus relevant sein können. Aber auch Blogs leiden unter dem Verfall der Werbepreise und müssen ums Überleben kämpfen. Wer sich allein mit Werbung finanziert und nicht gerade Google oder Facebook heißt, hat es schwer und wird in den kommenden Jahren weiter unter Druck geraten.

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Die Reihenfolge der bevorzugten Nachrichtenquellen dreht sich in der Altersgruppe der 14 bis 29-Jährigen aber um: 61 Prozent der jungen Menschen haben am Vortag ihre Nachrichten auf Facebook gelesen. An zweiter Stelle liegt Youtube mit 49 Prozent. Twitter hat in der Jugend sogar einen geringeren Wert als in der Gesamtbevölkerung.

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Der Blick auf die Unterschiede zwischen den jungen Menschen und der Gesamtbevölkerung zeigt: Social Media, also vor allem Facebook und die Google-Tochter Youtube, spielen als Online-Nachrichtenquellen eine weit größere Rolle, während Portale wie T-Online drastisch an Bedeutung verlieren. Allerdings kann sich der Stellenwert von Facebook auch jederzeit wieder ändern. Seit 2013 hat Mark Zuckerberg immer mehr Medieninhalte in den Newsfeed eingebaut, aber zuletzt ist der Trafficanteil, der von Facebook kam, wieder gefallen. Der Newsfeed-Algorithmus zeigt Nachrichten natürlich nicht aus journalistischer Perspektive, sondern mit dem Ziel, die Nutzer möglichst lange auf der Seite zu halten.

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2. Die Entwicklung der wichtigsten Nachrichtenmedien

Wenn Menschen nach ihren wichtigsten Nachrichtenquellen gefragt werden, nannten 2004 noch 59 Prozent der Gesamtbevölkerung die gedruckte Zeitung. Jetzt sind es nur noch 39 Prozent, zeigen Daten der Allensbacher Computer- und Technikanalyse. Besonders bedrohlich: Der Bedeutungsverlust der Zeitung als eine ihrer wichtigsten Nachrichtenquellen (Mehrfachnennung war möglich) hat sich in allen betrachteten Altersgruppen seit 2010 spürbar beschleunigt – während sich die Änderungen im Medienwandel für alle anderen Medien verlangsamt haben.

  • Zu ihren wichtigsten Nachrichtenmedium zählt die Mehrheit der Deutschen zwischen 14 und 64 Jahren weiterhin das Fernsehen. Der Anteil ist zwischen 2004 und 2015 allerdings von 81 auf 70 Prozent gefallen. In der Jugend und bei den jungen Akademikern hat das Fernsehen seine Pole-Position unter den Nachrichtenmedien schon an das Internet verloren.
  • Das Internet, wozu alle digitalen Angebote und damit auch die Web-Ableger der klassischen Medien gezählt werden, gewinnt in allen Gruppen weiter schnell an Bedeutung und hat in der Gesamtbevölkerung nun die Zeitung überholt.
  • Das Radio hat sich stabilisiert. Leichte Verluste bei den Jüngeren stehen Zuwächse bei den Älteren gegenüber, so dass die Gesamtbedeutung seit 2010 sogar leicht zugelegt hat.

Das Fernsehen verliert auf hohem Niveau stetig an Bedeutung, allerdings seit 2010 etwas langsamer als in der ersten Dekade. Die Situation ist also wesentlich komfortabler als bei den Zeitungsverlagen, deren Einstufung als wichtige Nachrichtenquelle seit 2010 schneller sinkt als zwischen 2004 bis 2009. Das ist in allen betrachteten Gruppen (14-16 Jahre, 14-19 Jahre, 20-39 Jahre, 30-39 Jahre alte Akademiker und 50-64 Jahre) der Fall. Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate (CAGR) liegt der Gesamtbevölkerung zwischen 14 und 64 Jahren inzwischen bei -3,2 Prozent im Jahr und hat sich ab 2013 noch einmal beschleunigt.

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Die 14-19-Jährigen sehen inzwischen das Internet als ihre wichtigste Nachrichtenquelle an. Interessant ist der Bedeutungsverlust der gedruckten Zeitung: Seit 2010 sinkt der Anteil um durchschnittlich 8,6 Prozent im Jahr und beträgt nur noch 12,6 Prozent. Seit 2013 hat sich der Abwärtstrend sogar noch einmal verschärft. Die Zeitungen haben die Jugend offenbar komplett verloren.Die wichtigsten Nachrichtenmedien

In der wichtigen Gruppe der jungen Akademiker zwischen 20 und 39 Jahren ist das Internet schon seit 2011 das wichtigste Nachrichtenmedium und baut seinen Vorsprung vor dem Fernsehen aus. Charakteristisch ist auch hier der rasante und sich beschleunigende Bedeutungsverlust der gedruckten Zeitung. Auch das Radio wird in dieser Gruppe als weniger wichtig eingestuft.

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In der Gruppe der Menschen zwischen 20 und 39 Jahren liegt das Fernsehen noch vor dem Internet, aber der Unterschied wird von Jahr zu Jahr geringer.

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Bei den älteren Menschen zwischen 50 und 64 Jahren liegen Fernsehen und Zeitung weiterhin klar in Führung als wichtigste Nachrichtenmedien. Sie verlieren zwar auch, aber deutlich langsamer als im Rest der Bevölkerung. Die Menschen dieser Gruppe verschaffen den klassischen Medien also noch ein paar Jahre Schonfrist für ihre digitale Transformation.

Folie5 3. Bedeutung für die Meinungsbildung

Aus beiden Ergebnissen beider Teile der Serie, also in welchen Medien sich die Menschen am Vortag über das aktuelle Geschehen informiert haben und welche Medien sie als „wichtig“ erachten, lässt sich auch die potenzielle Bedeutung für die Meinungsbildung errechnen. Werden die Ergebnisse für das tatsächlich genutzte Informationsmedium und das als wichtig erachtete Medium jeweils gleich 100 gesetzt und damit in Marktanteile umgewandelt, lässt sich daraus ein Mittelwert bilden, der das potenzielle Gewicht für die Meinungsbildung abgibt. (Diese Werte geben allerdings keinen Aufschluss, welche Medienmarke zur Meinungsbildung beiträgt.) Hier die wichtigsten Ergebnisse eines Vergleichs zwischen 2005 und 2015 in Kurzform:

  • Nach dieser Formel hat das Fernsehen weiterhin die klar größte Bedeutung für die Meinungsbildung in der Gesamtbevölkerung, auch wenn seit 2005 ein Rückgang um 4,5 Prozentpunkte zu verzeichnen ist. An zweiter Stelle liegt noch die Zeitung mit 21,4 Prozent, ganz knapp vor dem Internet mit 21,3 Prozent. Das Radio liegt relativ stabil bei 20 Prozent, ist allerdings inzwischen auf Ran4 4 abgerutscht.
  • Für die 14-19-Jährigen liegen Fernsehen und Internet inzwischen mit 37 Prozent gleichauf; nur noch 9 Prozent dieser Altersgruppe bilden sich ihre Meinung mit Hilfe einer gedruckten Zeitung.
  • Für die 20 bis 39 Jahre alten Akademiker ist das Internet inzwischen ebenfalls die maßgebliche Quelle für ihre Meinungsbildung; die gedruckte Zeitung hat in dieser Gruppe den höchsten Verlust als Meinungsmedium zu verzeichnen.

Folie1Folie2Folie3Welche Online-Medien gelesen werden, hat TNS Infratest erfragt. Danach liegen die Web-Ableger klassischer Medien in der Gesamtbevölkerung weiterhin in Führung, während sich die 14-29-Jährigen vor allem auf den Plattformen Facebook und Youtube informieren. Auch dort greifen sie natürlich gerne auf die Inhalte der klassischen Medien zurück, zumal alternative Nachrichtenquellen wie Blogs in Deutschland keine besonders hohe Bedeutung erreicht haben und nur einzelne Segmente bedienen.

Auf jeden Fall lassen sich aus den Zahlen aber einige Schlussfolgerungen und Prognosen für 2016 ziehen:

  • Der Trend, Inhalte auf den populären Plattformen auszuspielen, wird 2016 weiter an Fahrt gewinnen. Facebooks Instant Articles werden nach einer Testphase in diesem Jahr wohl 2016 massiv an Bedeutung gewinnen. Wenn Facebook schlau genug ist, den Publishern einen vernünftigen Revenue-Anteil zu geben, werden diese die Zuckerberg-Netzwerke weiterhin fleißig mit Inhalten füttern.
  • Daher verlieren die eigene Homepage und auch die eigene App der Medien weiter an Bedeutung. Medien, die dagegen auf Plattformen zu Hause sind, gewinnen an Bedeutung.
  • Auch der Trend zu Mobile befördert den Bedeutungsverlust der eigenen Angebote. Wer es nicht schafft, seine App auf dem Homescreen zu platzieren und damit in keinem der relevanten Streams auf dem Smartphone präsent ist, verliert an Bedeutung.
  • Sobald Facebook die Publisher von Videos vernünftig an den Einnahmen beteiligt, wird Video auf Facebook boomen und Youtube ernsthaft gefährden. Videos auf Facebook könnte dann das ganz große Ding werden.