Clemens Fuest: „Deutschlands langfristiger Wohlstand hängt von der Digitalisierung ab“

Clemens Fuest, einer der renommierten Ökonomen in Deutschland, mahnt ein schnelleres Tempo bei der Digitalisierung der Wirtschaft an. „Ich habe den Eindruck, dass wir langsamer als die USA wachsen und wir müssen uns ziemlich am Riemen reißen, damit sich das ändert.“

„Unsere Strukturen sind einfach zu konservativ“ mahnte Clemens Fuest, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, auf einer Telefónica-Veranstaltung in Berlin. Deutschland habe zwar Vorteile durch seine starke Industrie, doch man solle sich fragen, wie lang der Großteil der Einnahmen noch durch Autos mit Verbrennungsmotor erzielt werden kann. Ein schnelles Umdenken ist dringend nötig, fordert Fuest, der zu den renommiertesten Ökonomen in Deutschland gehört. Im Anschluss an die Veranstaltung habe ich Fuest noch einige Fragen gestellt:

Die USA wachsen schneller als Europa. Ist dieser Unterschied auf die unterschiedliche Digitalisierung der Wirtschaft zurückzuführen? Ist das Solow-Paradoxon also kein Paradoxon mehr?

Fuest: Die unterschiedlichen Wachstumsgeschwindigkeiten zwischen Europa und den USA werden nicht allein von der Digitalisierung bestimmt, aber sie ist ein wichtiger Faktor. Digitalisierung hat erhebliche Konsequenzen für das Wachstum. Unser langfristiger Wohlstand hängt davon ab, dass wir die Digital-Technologien wirklich einsetzen. Das galt schon für die Dampfmaschine und nun eben für die Digitalisierung.

Nun ist die Digitalisierung in den USA weiter fortgeschritten. Dort gehören viele IT-Konzerne wie Apple, Microsoft, Google, Facebook, Intel, Cisco und IBM zu den Stützen der Wirtschaft. In Deutschland hat es mit SAP nur eine Neugründung aus der IT-Branche in die Spitzengruppe geschafft – und auch das ist schon einige Jahre her. Kann Europa den Vorsprung noch aufholen?

Fuest: Nach der 1. Halbzeit der Digitalisierung steht es 1:0 für die USA. Aber jede neue Technologie stößt auch irgendwann an ihre Grenzen. Zuerst erreicht man einen großen Produktivitätsschub, aber wenn man die „Low Hanging Fruits“ geerntet hat, flacht das Wachstum ab. Wir wissen im Moment nicht, ob und wann dieser Effekt bei der Digitalisierung eintritt. Es könnte aber sein, dass der Wachstumsvorsprung der USA etwas nachlässt. Der zweite Punkt: Europa und auch die deutsche Industrie sind aufgewacht. Wir haben eine ganze Reihe von Unternehmen, die sich intensiv mit Informationstechnologien befassen, und eine lebendige Gründerszene in Berlin. Europa kann also aufholen. Aber wir haben auch handfeste Nachteile. Zum Beispiel gelingt es den USA weiterhin viel besser, junge Unternehmen nach vorne zu bringen, die wirklich signifikant werden. Das Silicon Valley ist immer noch viel dynamischer als vergleichbare Standorte in Europa. In den USA fließt viel mehr Geld in neue Unternehmen und neue Ideen. Wir haben einfach keinen vergleichbar großen Binnenmarkt wie die USA. Ich habe den Eindruck, dass wir langsamer als die USA wachsen und wir müssen uns ziemlich am Riemen reißen, damit sich das ändert.

Stichwort Industrie 4.0: Können wir den Stellenwert unserer Industrie in der Digitalisierung halten?

Fuest: Ich bin optimistisch, da das Problem erkannt ist. Allerdings zeigen unsere Daten, dass die Einstellung der Unternehmen in Deutschland ziemlich heterogen ist. Wir haben Unternehmen, die die Möglichkeiten der Vernetzung wirklich erkannt haben. Diese Unternehmen werden auch morgen noch Champions sind. Wir haben aber auch Branchen, in denen Digitalisierung bisher kaum stattfindet. (-> Nur 7 Prozent der deutschen Manager sind Digital Leader)

Forcieren andere Länder die Digitalisierung ihrer Wirtschaft stärker als Deutschland? Die meisten Industrie-4.0-Patente werden heute in China angemeldet.

Fuest: Natürlich versuchen alle entwickelten Volkswirtschaften, den Weg der Digitalisierung zu gehen. Wenn wir uns China ansehen, dann sehen wir dort tatsächlich eine steigende Zahl an Patenten. Aber ein genauer Blick zeigt, dass der Wert dieser Patente nicht einmal konstant ist, sondern sogar sinkt. Dort ist die Devise ausgegeben worden, möglichst viele Patente anzumelden. Das ist Tonnenideologie. Ich glaube also schon, dass die Deutschen in diesem Punkt mithalten werden. Industrie 4.0 ist auch keine reine Konkurrenzveranstaltung. Wenn in China neue Entwicklungen passieren, dann kann uns das auch neue Möglichkeiten schaffen.

Zum Arbeitsmarkt: Vor allem in den Büros werden viele Routinejobs der Buchhalter oder Sachbearbeiter dank künstlicher Intelligenz und Machine Learning wegfallen. Werden wir an anderen Stellen schnell genug neue Arbeitsplätze schaffen können? (-> Die Jobs der Zukunft: Hauptsache digital)

Fuest: Das wird nicht immer und überall gelingen. Aber die Digitalisierung schafft natürlich auch neue Jobs, die aber – auch das ist ein wichtiger Unterschied – ein sehr hohes Maß an Ausbildung erfordern.