„Der Hotspot der künstlichen Intelligenz“

Computer können Bilder malen und Musik komponieren. Aber sind sie deshalb schon kreativ? Noch nicht. Doch die großen Fortschritte in der künstlichen Intelligenz lassen die Maschinen stetig besser werden. Ein Unternehmen ist dabei besonders weit.

Computer steuern Autos, gewinnen Schachspiele, denken sich Kochrezepte aus. Aber können sie auch so gut Musik komponieren wie Bach oder die Beatles? Donya Quick, Forscherin an der US-Universität Yale und Entwicklerin des Musikcomputers Kulitta, wollte es genau wissen. Sie spielte zwei Gruppen mit 100 Menschen 40 Musikstücke vor. Auf einer Skala von 0 bis 7 sollten die Tester ankreuzen, ob die Musik „eindeutig von einem Computer“ oder „eindeutig von einem Menschen“ stammt. Ergebnis: Beide Gruppen hielten Kulittas Musik überwiegend für das Werk eines Menschen. „Es funktioniert – Kulitta produziert wunderbare, ausgereifte Kompositionen“, schwärmt Yale-Informatikerin Holly Rushmeier.

Sind Computer, die mit künstlicher Intelligenz ausgestattet sind, also wirklich kreativ? Bestehen der Mozart oder der van Gogh des 21. Jahrhunderts aus Bits und Bytes? „Nein. Trotz großer Fortschritte in den vergangenen Jahren ist es noch ein weiter Weg, bis Computer kreativ im menschlichen Sinn sind“, sagt der Tübinger Wissenschaftler Matthias Bethge. Aber die Maschinen nähern sich Schritt für Schritt. Bethge hat gerade einem Computer das Malen beigebracht. Genauer gesagt einem neuronalen Netzwerk, das quasi jedes Pixel eines Bildes analysiert, um daraus den Malstil zu erkennen.

Die Vorstufe der Kreativität ist erreicht

Diesen Stil kann die Software dann beliebig variieren und wie am Fließband neue Bilder produzieren, die Menschen als schön empfinden. Sein Computer kann also keinen neuen Stil erfinden, aber auf Basis vorhandener Stile neue Bilder malen. Das – sagt Oliver Deussen von der Universität Konstanz – sei aber immerhin eine Vorstufe zur Kreativität: „Computer können innerhalb eines festgelegten Rahmens Dinge machen, die wir als kreativ einschätzen. Ob Computer auch kreativ außerhalb eines klar definierten Rahmens sind, ist eine offene Frage“, so Deussen, der den Malroboter e-David gebaut hat. In einem ersten Schritt hat der Roboter, der sonst Autos zusammenschweißt, das normale Malhandwerk erlernt. „Die Maschine überwacht sich im zweiten Schritt selbst und schaut zum Beispiel, an welchen Stellen Farbe fehlt; das korrigiert sie im nächsten Schritt. Beim nächsten Bild macht sie diesen Fehler dann nicht mehr. Sie lernt also hinzu“, sagt Deussen.

Computer können inzwischen auch Texte schreiben. Werden sie bald die besseren Journalisten sein? Der Amerikaner Scott Horsley ist ein erfahrener Redakteur und Schnellschreiber obendrein. Genau der Richtige für den Wettbewerb mit dem Schreibroboter Wordsmith des US-Unternehmens Automated Insights. Wer schreibt den Artikel über die Geschäftszahlen einer Fast-Food-Kette schneller, wer besser? Horsley brauchte nur sieben Minuten. Das ist sehr schnell, aber der Computer schaffte es in zwei Minuten. Beide Texte sind fehlerfrei. Horsleys Text kommt eleganter daher, dafür liefert Wordsmith mehr Fakten, lautet das Urteil der Testleser. Ihren Zweck, schnell und fehlerfrei zu informieren, erfüllen beide Artikel. Mit einem wichtigen Unterschied: Wordsmith arbeitet für einen Bruchteil der Kosten, braucht keinen Urlaub, wird nie krank und verbessert seinen Schreibstil dank künstlicher Intelligenz stetig.

Computer schreiben 1000 Wörter – in der Sekunde

300 Millionen Artikel hat er vergangenes Jahr geschrieben; eine Billion sollen es in diesem Jahr werden. Das ist mehr, als alle Journalisten der Welt zusammen fertigbringen. Aber auch hier braucht die Technik einen Rahmen. Schreibroboter können nicht recherchieren, nach vorn denken, neue Ideen entwickeln. Aber sie können aus Daten inzwischen ganz passable Texte produzieren, die bei entsprechendem Training besser werden. Viele Wikipedia-Artikel entstehen schon auf diese Weise. Und mit der Technik rollen sie den Journalismus doch noch auf. Nicht von oben, sondern von unten. Indem sie Artikel produzieren, die Journalisten nicht (mehr) schreiben. Meist aus Zeitmangel oder weil es sich schlicht nicht lohnt. Routineberichte über Bilanzen kleinerer Unternehmen, das Geschehen an den Börsen oder Sportereignisse von der F-Jugend bis zur Bezirksliga. „Wenn die Spieler noch auf dem Weg unter die Dusche sind, hat der Computer den Artikel schon fertig im Netz veröffentlicht“, erklärt Saim Alkan, Chef des Stuttgarter Technologie-Anbieters Aexea.

1000 Wörter in der Sekunde schafft zum Beispiel der US-Anbieter Yseop. Schneller als Roboter können Journalisten also nicht sein. Individueller allerdings auch nicht: Abhängig von den Vorlieben der Leser können sie ganz persönliche Zeitungen zusammenstellen, zum Beispiel mit Börsenberichten, die nur die Aktien aus ihrem Portfolio analysieren. Oder mit Wetterberichten, die genau auf ihren Wohnort abgestimmt sind. „Wenn die Journalisten den Roboter einmal richtig trainiert haben, lassen sie ihn die Routinejobs machen und gewinnen auf diese Weise viel Zeit für die Geschichten, die ein Computer niemals schreiben kann“, sagt Alkan. Angst, dass Computer ihre Jobs übernehmen, müssen Kreative nicht haben. Nach einer Studie der britischen Automatisierungsexperten Carl Benedikt Frey und Michael Osborne für die Nesta-Stiftung besteht für mehr als 85 Prozent aller Beschäftigten in den Kreativindustrien der USA und Großbritanniens kaum Gefahr, in absehbarer Zeit durch einen Roboter oder Computer ersetzt zu werden. Dieser Wert ist weit höher als im Rest der Industrie. Die großen Fortschritte der vergangenen Jahre haben die Investitionen in künstliche Intelligenz und lernende Maschinen beflügelt.

Google-Tochter DeepMind: Hotspot für künstliche Intelligenz

Forscher Bethge sagt: „Die Industrie arbeitet intensiv an diesen Themen und zieht viele gute Leute aus der Wissenschaft heraus. Besonders die Google-Tochter Deep Mind in London ist zum Hotspot für künstliche Intelligenz in Europa geworden.“ Deep Mind ist quasi das ausgelagerte Superhirn der Suchmaschine. 550 Millionen Euro hat Google für das junge Unternehmen bezahlt – und sich damit die Dienste von 150 der weltbesten Wissenschaftler für neuronale Computersysteme und maschinelles Lernen gesichert. Der Gründer Demis Hassabis, einst als Wunderkind der Schach-Szene gefeiert, arbeitet dort an seinem 20-JahresPlan, die menschliche Intelligenz nachzubilden. Auch Hassabis geht die Sache spielerisch kreativ an: Seine Software hat gerade eigenständig 49 Atari-Videospiele gelernt.

Wichtig daran: Die Spielintelligenz stammt nicht mehr wie bei Schachcomputern vom Programmierer, sondern die Software eignet sie sich selbst an. Computer lernen auf diese Weise, auf ihre Umgebung zu reagieren. Was die Wissenschaftler oft spielerisch erforschen, hat am Ende natürlich einen ernsten Hintergrund: Google baut die Supertechnik aus London auch in seine Produkte ein, zum Beispiel in das selbstfahrende Auto. Genau damit tun sich deutsche Unternehmen noch schwer. „Machine-LearningWissenschaftler aus Deutschland sind überall in der Welt begehrt. Was in Deutschland wirklich noch fehlt, ist ein weltweit sichtbares Engagement der Industrie“, sagt Bethge, „so ähnlich wie in den USA oder Großbritannien.“