Die Lehren aus dem „Innovation-Report“ der New York Times

Kein Dokument beschreibt den schwierigen Übergang von der Print- in die Digitalwelt so gut wie der Innovation Report der New York Times. Er ist Pflichtlektüre für Journalisten und Verleger.

Inzwischen gibt es den „Innovation Report“ der New York Times auch komplett in guter Qualität zum Download (s.u.). Er zeigt, dass auch die New York Times, die immer als Vorzeigeprojekt für die Digitalisierung eines Printmediums gilt, mit den üblichen Problemen zu kämpfen hat. Hier kommen die wichtigsten Erkenntnisse aus dem „Innovation Report“:

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1. Die Homepage der Medien als Einstiegsort für den Zugang zu Nachrichten verliert rapide an Bedeutung. Neben Google gewinnen Deep Links von Facebook oder Twitter schnell an Bedeutung. Bedeutet aber auch: Die Medienmarke wird unwichtiger und die Konkurrenz im Social Web größer, wie die Click-Bait-Angebote Buzzfeed oder Upworthy erfolgreich zeigen. Die Huffington Post sei schon vor einigen Jahren, Buzzfeed dann 2013 an der New York Times vorbeigezogen, wird im Report beklagt. In diesem Vergleich bleibt allerdings unberücksichtigt, dass Leser, die mit der Eingabe der URL die Seite direkt ansteuern, viel länger bleiben und häufiger wiederkommen, somit also eigentlich viel wertvoller als die Gelegenheitsbesucher sind. Leider ist dieser Unterschied den Werbern, die nur auf die Unique Visitors schauen, herzlich egal. So oder so: Als eine wichtige Konsequenz sollten alle Redakteure auch Social-Media-Redakteure sein, ihre Inhalte verbreiten und mit den Lesern diskutieren. (Davon sind die meisten Journalisten auch 2014 noch weit von entfernt. Nicht nur bei der New York Times.)

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2. Die Personalisierung geht nicht weit genug. Noch immer wird allen Lesern die gleiche Nachrichtenauswahl vorgesetzt. Daher verschwinden die meisten Nutzer, die über einen Deep Link auf einen Artikel kommen, sofort wieder. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz können Verlage heute jedem Leser, der über einen Deep Link kommt, in Sekundenbruchteilen die passende Landing Page bauen, die weiterführende Informationen zu diesem Thema enthält. Die Chance, dass er dann länger bleibt, steigt sofort.

3. Der Report beklagt die kulturellen Unterschiede zwischen Redaktion und Verlag. Interessanterweise ist die Chefredakteurin Jill Abramson wohl auch gefeuert worden, weil sie sich vehement gegen Native Advertising gewehrt hat. Da Buzzfeed  und Co. mit dieser Form der als Inhalt getarnten Werbung großen Erfolg haben, drängen auch die Kaufleute in den Verlagen in diese Richtung. Das Thema ist kompliziert: Die Unternehmen mögen Native Advertising, weil sie ihre Botschaften mitten in den Inhalten platzieren können. Medien oder Journalisten, die einen guten Ruf zu verlieren haben, wehren sich zu Recht gegen Native Advertising, weil ihre Glaubwürdigkeit auf dem Spiel steht (die gerade im Social Web wichtiger wird). Wer aber keinen Ruf zu verlieren hat, kann dann umso ungehemmter Inhalt und Werbung vermischen – was den ökonomischen Druck auf die Standhaften weiter erhöht. Dieser „State-Church-Conflict“ wird aber kaum aufzulösen sein. Eine Online-Werbefinanzierung ohne Click-Bait-Trash wird immer schwieriger, weshalb Paid Content einen wachsenden Stellenwert bekommen wird.

4. Den Führungskräften im Newsroom fehle die Zeit, sich um die Digitalstrategie Gedanken zu machen, wird im Report kritisiert. Klingt banal nach falsch gesetzten Prioritäten, ist aber häufig zu beobachten. Um das Digitale in einer traditionellen Printredaktion nachhaltig in die Köpfe der Redakteure zu bringen, muss der Chef vorangehen. Alle anderen Methoden scheitern.

5. Die Digitalkompetenz der Redakteure ist zu gering, lautet eine weitere Schlussfolgerung des Reports. Oft liegt der Grund in der fehlenden Motivation, den Umgang mit Twitter, Facebook, Instagram oder Slideshare zu lernen. Genau so oft liegt die Ursache in der eigenen IT-Abteilung, die mit der Argument der Sicherheit mehr verbietet als notwendig und damit Experimentierfreude verhindert. Hier also das digitale Pflichtenheft für alle Journalisten im 21 Jahrhundert:  Twitter, Facebook, WordPress (o.ä.), Instagram, RSS, Evernote (o.ä.) und Collaboration-Tools wären ein Anfang. Weiterbildung ist bei Journalisten meist verpönt, aber in diesem Fall notwendig.

6. Teambildung wird unterschätzt; die Kommunikation zwischen den Abteilungen des Verlags funktioniert oft nicht. Dafür ist das Buch  „Social Physics“ von Alex Pentland zu empfehlen. Er hat erforscht, wie Unternehmen wieder innovativ werden. Seine Lösung: Persönliche Gespräche sind durch nichts zu ersetzen. Das Treffen in der Kaffeeküche ist genauso wichtig wie das Rotieren durch die Abteilungen oder der Jour fixe.(Mehr zum Report gibt es von Thomas Knüwer)

The Full New York Times Innovation Report

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